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Donnerstag, 21. August 2014

Wie weit kannst du sehen?

Wie weit kannst du sehen?

 

 


Wir alle schreiten durch die Gasse, aber einige wenige blicken zu den Sternen auf.

OscarWilde (1854-1900), ir. Schriftsteller




Im 14. Jh. galten Visionen als übernatürliche Wahrnehmungen. Später, als sich das Geistesleben säkularisierte, wurden Visionen als Ungnade bezeichnet, gar als religiöse Einbildung oder krankhafte Trugbilder. Die Renaissance der Visionen begann in den 60er- und 70er Jahren, gute Visionen zählten nicht mehr als etwas, was von der Wirklichkeit ablenkt, sondern wiesen den richtigen Weg durch die Wirklichkeit. Der deutsche Philosoph Ernst Bloch (1885-1977) schrieb: ,,Das Vorausträumen ist der Zustand von Jugend, der Zustand von Wendezeiten und der Zustand von Kreativität, worin ein Neues geschaffen wird, das es bisher noch nicht gab, das aber fällig ist,weil es möglich wurde.“ Die Wirklichkeit einer Vision liegt zunächst in ihrer Denkbarkeit, wobei ihre Wirkung in den Möglichkeiten liegt, dass sie Wirklichkeit werden - zumindest ein Stück wirklicher. Dabei ist der richtige Umgang mit Visionen sehr bedeutungsvoll: Wer seine Visionen ignoriert, wird eingehen und wer ihnen blindlings folgt, wird die Wirklichkeit nie erkennen. Daher ist es wichtig, eine Balance zwischen Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn zu schaffen. 



Der einzig wahre Realist ist der Visionär.

Federico Fellini (1920-93), ital. Regisseur u. Schriftsteller 



In der Philosophie gibt es eine eigene Variante der Vision: Die Utopie! Im heutigen Sprachgebrauch jedoch haben die Begriffe „Utopie“ und „Visionen“ einen deutlich unterschiedlichen Klang. Ein Visionär zu sein ist ehrenwert, wer sich jedoch Utopien ausmalt, gilt als wirklichkeitsferner Träumer. Der Duden bezeichnet eine Utopie als„unausführbar“. Das bedeutet zwar, dass eine Utopie, mit den vorhandenen Mitteln nicht realisierbar ist, sagt aber nicht aus,dass die fehlenden Mittel nicht verfügbar werden könnten. Utopien können also sogar den Prozess der Entwicklung der nicht vorhanden Mittel beschleunigen. Träume wahr werden lassen! 



Heute ist die Utopie vom Vormittag die Wirklichkeit vom Nachmittag.

FriedrichNietzsche (1844-1900), dt. Philosoph 



Wenn wir einen Einblick in die Geschichte der Politik wagen, war der Sozialismus und Kommunismus nach Karl Marx (1818-1883) und FriedrichEngels (1820-1895) eine wirkungsmächtige Vision. 
Deren Urheber verstanden den Kommunismus nicht als ein erträumtes Ideal, sondern eher als zwangsläufige Folge der Geschichte der Menschheit. Für einige Jahrzehnte des 20. Jh. lebte fast die Hälfte der Weltbevölkerung in sozialistischen Staatsformen. Durch die Berliner Mauer zerbrach allerdings nach und nach die sozialistische Vision. Seither regiert in der Politik der Wirklichkeitssinn, es folgten keine Ideen mehr, die die Bezeichnung Vision verdienen würden. Der deutschen Kanzlerin zufolge gebe es keine Alternativen. Sie begründet ihr politisches handeln oft getreu dem Motto: Ich tue das, weil es sowieso nicht anders geht. Milliarden Euro werden in die Rettung von Banken gepumpt, der Sozialstaat wird gestutzt, das Bildungswesen ökonomisiert und beim Krieg in Afghanistan mitgemacht. In allen Fällen gab es Alternativen, wäre die Situation alternativlos, hätte Merkel keine Entscheidung treffen und rechtfertigen müssen. Es geht eher darum, ob die Alternative gesehen werden möchte. Wer damit zufrieden ist, den Status quo zu erhalten, braucht vor allem Wirklichkeitssinn. Wer gestalten und Geschichte machen will, der braucht Visionen. 



Jedes große historische Geschehen begann als Utopie und endete als Realität. 

Richard Nikolaus von Coudenhove-Kalergi (1894- 1972), Schriftsteller u.Politiker, Begr. d. Paneuropa-Bewegung



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